Heilung in der Familie – eine etwas andere Sichtweise

Die Diagnose einer Krebserkrankung wirbelt Familien- und Beziehungsstrukturen durcheinander. Partner, Kinder und auch der engste Freundeskreis sind gefordert, einen Umgang mit der Situation zu finden. Gerade so, wie der Patient/die Patientin auch.

Darüber, wie das soziale Umfeld einen kranken Menschen unterstützen kann, sind viele Bücher geschrieben worden. Wenn ich all diese Bücher (und auch die Erfahrung in meiner Praxis) auf einen Satz reduzieren sollte, so heisst dieser: “Werdet ehrlich zueinander, zeigt was Euch bewegt und nutzt die Chance die darin liegt”.  Wann, wenn nicht jetzt?

Es ist normal, wenn alte Konflikte wieder aufkeimen, unausgesprochene Worte gesprochen werden wollen. Oftmals merken Menschen erst in existenziellen Situationen, wie sehr sie jemanden lieben. Es kann aber auch sein, daß  plötzlich deutlich wird, daß die gemeinsame Zeit vorbei ist. Wir Menschen sträuben uns oft so lange gegen Veränderungen, bis das Leben sie erzwingt. Veränderung jedoch darf durchaus auch Verbesserung heissen, auch wenn zunächst die Hürde schwer zu nehmen scheint.

Eine Krebserkrankung kann Menschen zueinander führen. Nähe entsteht eben genau dann, wenn Ängste nicht mehr heldenhaft alleine getragen werden müssen. Es wird möglich, Zuneigung zu zeigen an einem Punkt, der nicht mit Leistung und Perfektion zu tun hat, sondern mit der ganz menschlichen Verletzlichkeit. Zeit für Tiefe und Austausch. Das, was ja doch alle ersehnen. Viele meiner Patient/innen erzählen mir, wie sehr sie das normale Alltagsgeplapper satt haben und wie sie sich andererseits genährt fühlen durch eine größere Anteilnahme und Ernsthaftigkeit im nahen Umfeld.

Wenn das Fundament klar ist, dann lösen sich die Alltagsfragen einfacher. Wer welche Aufgaben übernehmen kann im Unterstützungsteam des Patienten, ist dann leicht geklärt. Auch der Gratwandel: “wie sehr wende ich meine Aufmerksamkeit auf den Kranken, und was darf ich noch für mich selbst einfordern” kann ohne Vorwurf und falsche Aufopferung kommuniziert werden.

Es ist erlaubt, einen Krankheitsgewinn zu erfahren. Noch viel mehr: es ist sogar erlaubt, den Gewinn zu erhalten, wenn Sie wieder gesund sind!

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